Gisela Rothkegel
"ofw (ohne festen Wohnsitz)"
Gisela Rothkegel, Jahrgang 1942, hat sich erst relativ spät der Kunst zugewandt. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Leipzig als Fotografin und Malerin. Über einen langen Zeitraum, und zwar von Januar 1999 bis August 2000, versuchte sie als Kunststudentin im Rahmen eines geplanten Kunstprojektes, etwas über die Lebensgewohnheiten und den Alltag wohnungsloser Menschen in Berlin zu erfahren. Der Anlass, das Projekt mit Obdachlosen zu machen, war ein Gespräch mit zwei jugendlichen Punks im Bahnhof Zoo, das ihr von Aufsichtsbeamten mit dem Hinweis auf die Hausordnung verboten wurde, da sie ein „Versammlungsverbot“ enthalte. Diese unangenehme Begebenheit verstärkte ihr Interesse, Menschen ohne Wohnung und ihren Alltag kennenzulernen. Mit einer Fotoerlaubnis am Bahnhof Zoo in der Bahnhofsmission begann ihre Arbeit. Der Kontakt zu Einrichtungen war in der Regel kein Problem, wohl aber die Begegnung mit den Obdachlosen selbst, die sehr misstrauisch reagierten, sobald sie den Fotoapparat sahen. Die Entscheidung in der Bahnhofsmission mitzuhelfen, erleichterte es ihr, auf die Obdachlosen zuzugehen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Mit der Zeit erfuhr sie immer mehr über das Leben auf der Straße. Obdachlose nahmen sie mit zu ihren Schlafplätzen, einer Bank im Tiergarten oder unter dem Balkon eines Hochhauses mitten in der Stadt. Nach knapp einem Jahr war sie in der Szene akzeptiert als die „Fotografin, die o.k. ist“. Die Nähe zu den Betroffenen und das Mit-ihnen-Vertrautsein ließen sehr einfühlsame, aber auch ausdrucksstarke Bilder und Texte entstehen, die außerordentlich authentisch sind und dem Normalbürger ungeahnte Einblicke in den Lebensalltag wohnungsloser Menschen gewähren. Die Text- und Fotodokumentation entstand als Diplomarbeit an der Freien Akademie für Kunst Berlin. Sie besteht aus einem Schuber mit fünf Heften. Daraus werden in der Ausstellung „Kunst trotz(t) Armut“ Auszüge, darunter die Arbeit „Hab und Gut“ gezeigt. Unter dem Motto „Was besitzt ein Obdachloser“ ließ die Künstlerin Betroffene aufschreiben und zeichnen, was sie besitzen.
Andreas Pitz