Wolfgang Bellwinkel

Wolfgang Bellwinkel, Jahrgang 1959, ist international anerkannter Fotograf und lebt in Berlin. Anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Münchener Straßenzeitung „BISS“ hat er gemeinsam mit sechs weiteren renommierten Fotografen aus dem In- und Ausland an der Ausstellung „Architektur der Obdachlosigkeit“ mitgewirkt, die im September 2003 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen war. Das vorgegebene Thema „Obdachlosigkeit“ bearbeitete er, indem er Decken, Schlafsäcke und Isomatten fotografierte, auf denen wohnungslose Menschen geschlafen haben. Die Entstehung seiner sechs übergroßen Farbfotografien, auf denen bewusst keine obdachlosen Menschen abgebildet sind, beschreibt er folgendermaßen: „Meine Auseinandersetzung mit dem Thema Obdachlosigkeit hat mich gelehrt, dass die meisten Obdachlosen – zumindest in München – in gewisser Weise sesshaft sind und durchaus einen festen Ort ,bewohnen’, den sie selten wechseln. Um jedoch als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden, reicht der dauerhafte nächtliche Aufenthalt an einem festen Ort nicht aus. Man braucht eine Wohnung. Hat man keine, ist man obdachlos. Obdachlosigkeit umschreibt somit das Fehlen eines eigenen umbauten Raums, den man besitzt oder mietet. Dieser beim Grundbuchamt registrierte Raum Heimat verfügt über eine Adresse. Juristisch gibt es eine direkte Verknüpfung zwischen Mensch und Raum, das nennt man Meldeadresse. Dem Duden zufolge ist Architektur "der nach den Regeln der Baukunst gestaltete Aufbau eines Gebäudes". Danach wäre selbst die improvisierte Hütte aus Brettern und Abfällen Architektur. In München sind mir solche Unterkünfte jedoch nicht begegnet. Die oben genannte Definition ist, auf die Thematik der Ausstellung übertragen, wenig hilfreich. Was ist dann Architektur? Umbauter Raum? Auch diese Deutung war hier unzureichend, eine Parkbank ist kein umbauter Raum. Reduziert man allerdings ,Architektur auf das den Menschen von der Umwelt Trennende’, erhält man eine funktionierende Definition. Infolgedessen fotografiere ich Matratzen, Decken, Schlafsäcke und Isomatten, Gegenstände, die den Körper des Schlafenden vom Boden und der kalten Luft trennen und damit Überleben sichern. Ich löse diese Objekte aus ihrem Umfeld, zeige Oberflächen als Spiegel der bürgerlichen Welt, der sie einst dienten, zeige Spuren der augenblicklichen Nutzer.“
(Quelle: Wolfgang Bellwinkel in Architektur der Obdachlosigkeit, Dumont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2003)

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